Sensitivität von Seevögeln gegenüber Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee – Grundlagen für einen Ausbau der Offshore Windenergienutzung, der die Natur so wenig wie möglich schädigt
In der gesamten Nordsee sind die Populationen von Seevogelarten in einem schlechten Erhaltungszustand: Die Bestände nehmen ab, die Fortpflanzungsrate ist zu niedrig für eine Bestandserholung (OSPAR Quality Status Report 2023).
Mehrere der 20 regelmäßig in der deutschen Nordsee vorkommenden Seevogelarten meiden Offshore-Windparks weiträumig und verlieren dadurch einen Teil ihres Lebensraumes.
Die vom DDA neu erstellte Sensitivitätskarte basiert auf dem Vorkommen von Seevögeln und ihrer durch Lebensraumverlust bedingten Empfindlichkeit gegenüber Offshore-Windparks (OWP). Sie zeigt, wo die Errichtung von OWP im Konflikt zum Artenschutz steht. Besonders großes Konfliktpotential besteht im Norden der deutschen Nordsee durch den aktuell von der Bundesregierung geplanten Ausbau der Windenergienutzung.
Wenn der Ausbau der Windenergienutzung auf See wie geplant umgesetzt wird, werden mehrere Seevogelarten einen starken Lebensraumverlust in der deutschen Nordsee erleiden.
Die erwarteten Lebensraumverluste wirken den von Deutschland im internationalen Rahmen (Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, Vogelschutzrichtlinie, OSPAR-Konvention) mitgetragenen Zielen, den Zustand der Meere und seiner Ökosysteme zu verbessern, entgegen.
Um die Folgen des großflächigen Ausbaus der Offshore-Windenergienutzung zu messen und zu verstehen, ist es unerlässlich, auch künftig bei allen Projekten eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen und eine wissenschaftliche Begleitung sicherzustellen. Daraus resultierende Daten ermöglichen insbesondere bei kumulativer Betrachtung eine umfassende Folgenabschätzung sowie die Entwicklung geeigneter Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen.
Der große Flächenbedarf der OWP macht es angesichts weiterer in der deutschen Nordsee stattfindenden Aktivitäten (vor allem Fischerei, Schifffahrt) unmöglich, die für Seevögel auftretenden Lebensraumverluste zu kompensieren.
Insbesondere Planungsgebiete mit einer hohen Sensitivität gegenüber dem Ausbau der Offshore-Windenergienutzung sollten im Rahmen der Umsetzung der RED III, in der Fortschreibung des Flächenentwicklungsplans sowie der marinen Raumordnung umfassend evaluiert und nicht beschleunigt werden.
Minderungsmaßnahmen sollten u.a. eine Zurückstellung sensitiver Flächen und nutzungsfreie Räume als Ausweichgebiete für Seevögel und umfassen.
Der Ausbau erneuerbarer Energien wird weltweit als Maßnahme zur Verlangsamung des menschengemachten Klimawandels gefördert.
Die Nutzung der Windenergie auf dem Meer durch Offshore-Windparks (OWP) spielt dabei in vielen Gebieten der Erde eine
wichtige Rolle. Durch diese starken Eingriffe in die Meeresökosysteme kommt es zu Konflikten zwischen Klimaschutz und Naturschutz.
Ein solcher Konflikt besteht gegenwärtig in der deutschen Nordsee: Eine starke Nutzung durch den Menschen erfolgt
bereits seit Jahrzehnten, beispielsweise durch die Fischerei, die Schifffahrt sowie die Öl- und Gasförderung in angrenzenden Meeresgebieten.
Aktuell wird die Nutzung dieses Gebietes im Rahmen der Energiewende massiv intensiviert. Die von menschlichen
Nutzungen beanspruchte Fläche ist während der letzten Jahre durch den Bau zahlreicher OWP bereits deutlich
angestiegen und wird in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der Planung vieler weiterer, noch deutlich größerer
OWP sehr stark zunehmen. Im Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG)
wurde durch die Bundesregierung festgelegt,
dass die Leistung von aktuell 8 GW auf mindestens 70 Gigawatt (GW) im Jahr 2045 steigen soll. Die für den
OWP-Ausbau aktuell ausgewiesenen Flächen entsprechen knapp einem Fünftel der deutschen Ausschließlichen
Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee.
Gleichzeitig befinden sich die Populationen vieler Seevogelarten in der gesamten Nordsee in einem schlechten
Erhaltungszustand, wie jüngst im Quality Status Report 2023 des Meeresschutzabkommens OSPAR festgestellt wurde
(Dierschke et al. 2023).
Die Bestände vieler Seevögel gehen zurück (Dierschke et al. 2022),
und der Fortpflanzungserfolg vieler Arten ist so niedrig, dass weitere starke Rückgänge zu erwarten sind
(Frederiksen et al. 2022).
Menschliche Nutzungen beeinträchtigen und gefährden Seevögel in vielfältiger Weise
(Bildstein et al. 2017,
Dias et al. 2019,
Dierschke et al. 2023).
Durch eine Steigerung der Nutzungsintensität ist eine weitere Verschlechterung des Zustands von Seevögeln zu erwarten.
Deutschland hat sich jedoch im Rahmen internationaler Abkommen und Richtlinien (u.a.
Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG,
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie 2008/56/EG,
OSPAR-Konvention) dazu verpflichtet,
einen guten Zustand von Seevögeln und anderen Bestandteilen des (marinen) Ökosystems zu erhalten bzw. zu erreichen.
Um eine weitere Verschlechterung des Zustands der Meeresumwelt zu vermeiden und einen Ausbau der Windenergie zu gestalten, der die Natur möglichst wenig schädigt,
sind Kenntnisse über das Vorkommen und die Sensitivität von marinen Organismen eine wichtige Entscheidungsgrundlage.
Die wissenschaftliche Arbeit des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten (DDA), des Forschungs- und
Technologiezentrums (FTZ) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und anderer Institute und
Arbeitsgruppen soll helfen, den Konflikt zwischen Klimaschutz und Naturschutz zu entschärfen.
Seit ca. 35 Jahren wird das Seevogelvorkommen in der deutschen Nordsee mit Hilfe von Zählungen vom
Schiff und vom Flugzeug aus erfasst. Seit 2008 geschieht dies im Rahmen des Biodiversitätsmonitorings
des Bundesamtes für Naturschutz
(Borkenhagen et al. 2023).
Die erhobenen Daten erlauben es,
Veränderungen des Vorkommens im Jahresverlauf und über die Jahre zu dokumentieren. Auf diese Weise
lässt sich herausfinden, welche Gebiete besonders bedeutsam für Seevögel sind. Außerdem können auf
Basis dieser Informationen auch die Effekte von menschlichen Nutzungen auf Seevögel untersucht werden.
Mittlerweile liegen für viele Seevogelarten Erkenntnisse über deren Reaktion auf vorhandene OWP vor (u.a.
Dierschke et al. 2016,
Heinänen et al. 2020,
Peschko et al. 2020,
Garthe et al. 2023,
Peschko et al. 2024a,).
Aktuelle Studien zeigen, dass Seevogelarten unterschiedlich auf OWP reagieren. Insbesondere Sterntaucher, Prachttaucher und
Trottellummen meiden den Bereich der OWP sehr stark (Reduktion der Individuenzahl im OWP um ca. 90-95%) und
bis in weite Entfernungen (Seetaucher bis in ca. 12 km und Trottellummen bis in ca. 20 km Entfernung zum OWP;
Garthe et al. 2023,
Peschko et al. 2024a). Auch andere Seevogelarten meiden das Gebiet der OWP deutlich, jedoch über
geringere Distanzen zum Windpark (ca. 2-6 km,
Garthe et al. 2022).
Verschiedene Möwenarten halten sich hingegen jahreszeitenabhängig vermehrt innerhalb von OWP auf.
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse erlauben in Kombination mit den flächendeckend vorhandenen Daten aus dem
Seevogelmonitoring eine räumlich hoch aufgelöste Betrachtung der Sensitivität von Seevögeln. Um die Planung
des weiteren Ausbaus der Windenergienutzung in der deutschen Nordsee zu unterstützen, legt der DDA nun eine
Sensitivitätskarte vor, die deutlich zeigt, welche Gebiete im Hinblick auf die Meidung von OWP durch Seevögel
besonders empfindlich sind (Abbildung 1 ).
Abb. 1: Räumliche Verteilung der Sensitivität von Seevögeln gegenüber
Offshore-Windparks (Area Sensitivity Index, ASI: über alle 20 regelmäßig vorkommenden
Arten aufsummierte Produkte logarithmierter Individuendichten und artspezifischer
Sensitivität) in der deutschen Nordsee auf Basis der modellierten Verbreitung für die
Jahre 2011-2016. Die Sensitivität bezieht sich auf das Meideverhalten der Arten und
sich daraus ergebende Lebensraumverluste. Zusätzlich dargestellt sind alle Meeresschutzgebiete,
bis 2023 in Betrieb genommene oder im Bau befindliche OWP sowie laut dem Vorentwurf des
Flächenentwicklungsplans 2024 (BSH 2024)
anvisierte OWP-Flächen. Skalierung in Bezug auf den maximal auftretenden ASI (rot gefärbte Bereiche weisen die höchste Sensitivität auf). Aus Dierschke et al. (2024).
Die neue Sensitivitätskarte für Seevögel unterstreicht eine besonders hohe Sensitivität
der Küstengewässer der deutschen Nordsee sowie des Seegebiets um Helgoland. Darüber
hinaus befinden sich in der AWZ zwei Gebiete mit besonders hoher Sensitivität gegenüber OWP:
in Bereich westlich der Insel Sylt, der u.a. als Frühjahrs-Rastgebiet von Seetauchern von hoher Bedeutung ist (geschützt u.a. als EU-Vogelschutzgebiet und deutsches Naturschutzgebiet).
Im Norden der AWZ ein Gebiet, in dem sich zu bestimmten Jahreszeiten viele Trottellummen, Basstölpel und Eissturmvögel aufhalten. Dieses Gebiet ist nicht nur ohne gesetzlichen Schutz, sondern auch durch den geplanten Ausbau der Windenergienutzung in diesem Bereich akut bedroht.
Basierend auf dem Windenergie-auf-See-Gesetz (Stand März 2023) und der deutschen Umsetzung der
Richtline (EU) 2023/2413
(Renewable Energy Directive III, kurz RED III) ist für einen Teil der Flächen, die für den zukünftigen OWP-Ausbau beplant werden,
mit einem beschleunigten Genehmigungsverfahren zu rechnen, bei dem die Umweltverträglichkeit nicht untersucht wird. Findet
keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und keine andere Voruntersuchung statt, dann werden auch die späteren Auswirkungen
dieser großflächigen OWP unbekannt bleiben. Dies ist nicht zuletzt deshalb bedenklich, weil der geplante
OWP-Ausbau im Norden der AWZ in das herbstliche Konzentrationsgebiet von Trottellummen fällt. In dieser
Jahreszeit sind Trottellummen mauserbedingt flugunfähig und führen gleichzeitig den letzten Abschnitt der
Jungvogelaufzucht durch. Sie sind somit also im Hinblick auf Ausweichbewegungen besonders eingeschränkt.
Eine kürzlich vom FTZ Westküste der Universität Kiel und dem DDA veröffentlichte Studie prognostiziert,
dass durch den geplanten OWP-Ausbau im Norden der AWZ mit Lebensraumverlust für ca. 70% des deutschen
Trottellummen-Bestandes in seinem herbstlichen Dichtezentrum zu rechnen ist (entspricht ca. 3 % der europäischen Population;
Peschko et al. 2024a).
Ausweichflächen werden aufgrund weiterer Vorbehaltsgebiete für die Windenergienutzung fehlen.
Abb. 2:
Links: Verbreitung der Trottellummen in der deutschen Nordsee im Herbst. Darüberliegende graue Gebiete
zeigen die geplanten Flächen für den OWP-Ausbau auf Basis des Raumordnungsplans 2021.
Rechts: Prognostizierte räumliche Wirkung des OWP-Ausbaus auf Trottellummen im Herbst. Weiße Bereiche
um die OWP-Flächen zeigen den potentiell durch OWP beeinflussten Bereich für Trottellummen.
Da Trottellummen OWP in Betrieb stark meiden, sind auch die Gebiete die durch den geplanten Ausbau betroffen wären sehr groß.
Aus Peschko et al. 2024a.
Auch weitere Seevogelarten würden stark durch den im aktuellen Vorentwurf des Flächenentwicklungsplans
(BSH 2024)
skizzierten Ausbau beeinträchtigt: Zwischen 40-55 % der Eissturmvögel, sowie 20-25 % der Basstölpel, Tordalke und Heringsmöwen würden aufgrund ihres Meideverhaltens bisher genutzten Lebensraum verlieren
(Peschko et al. 2024b).
Sensitivitätskarten sind ein wichtiges Werkzeug bei der Fortschreibung der marinen Raumplanung.
Sie ermöglichen es, Gebiete zu identifizieren, die aus Naturschutzsicht kritisch sind. Im
Zusammenhang mit der Planung von OWP wurden Sensitivitätskarten auch schon in anderen Ländern eingesetzt
(
Bradbury et al. 2014,
Vanermen et al. 2022,
Fauchald et al. 2024). Zusammen mit Erkenntnissen aus Studien zu aktuellen und zukünftigen
Effekten des OWP-Ausbaus ermöglichen sie es, eine naturverträgliche Nutzung der Meere zu realisieren.
Empfehlungen
Eine Berücksichtigung der Sensitivitätskarten und weiterer Ergebnisse der wissenschaftlichen
Forschung im Planungs- und Umsetzungsprozess für OWP können zu einer deutlichen Verringerung
der Effekte auf die Meeresumwelt führen. Insbesondere Planungsgebiete mit einer hohen
Sensitivität gegenüber dem Ausbau der Offshore-Windenergienutzung sollten im Rahmen der Umsetzung
der RED III, in der Fortschreibung des Flächenentwicklungsplans sowie der marinen Raumordnung
umfassend evaluiert und nicht beschleunigt werden. Hierbei ist es bedeutsam, die Belange
verschiedener Schutzgüter zu berücksichtigen, um den Ausbau der Offshore-Windenergienutzung so
naturverträglich wie möglich zu gestalten. Im Rahmen des Projektes „NaMaRo“ (s.u.) wird
aktuell an der Erstellung einer schutzgutübergreifenden Sensitivitätskarte gearbeitet.
Zusätzlich zu den aktuellen Entwicklungen in der gesetzlichen Umsetzung und Raumplanung ist
es von großer Relevanz, eine umfassende, großräumige wissenschaftliche Begleitung des geplanten
OWP-Ausbaus sicherzustellen. Da Seevögel über Ländergrenzen hinweg agieren und der Ausbau der
Offshore-Windenergienutzung in der gesamten Nordsee stattfinden wird, ist ein internationaler
Ansatz unverzichtbar. Nur auf Grundlage weiterer Erkenntnisse wird es möglich sein, kumulative
Folgen für das Meeresökosystem abzuschätzen und effektive Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen
zu entwickeln. Im Hinblick auf Lebensraumverluste für Seevogelarten sind bisher keine
Minderungsmaßnahmen erprobt worden. Angesichts der gewaltigen Flächen, die für weitere
OWP vorgesehen sind, ist eine Kompensation in vollem Umfang schwierig (s.o.). Dennoch sollte
angestrebt werden, Meeresgebiete, die nicht für OWP eingeplant sind, von anderen Nutzungen
freizuhalten. Nur so kann es den Seevögeln ermöglicht werden, räumlich auszuweichen.
Maßnahmen, welche die Konfiguration von OWP oder die Modifizierung der Turbinen betreffen,
werden zwar im Hinblick auf das Kollisionsrisiko von Seevögeln und ziehenden Vögeln diskutiert
(Harwood & Perrow 2019), sind aber angesichts des Umfangs der
Meidereaktionen wahrscheinlich weniger zielführend. Im aktuellen Planungsprozess wäre
eine Zurückstellung sensitiver Flächen sinnvoll. Dies würde es ermöglichen, neue
Erkenntnisse bezüglich der Effekte von OWP auf Seevögel, aber auch des Einsatzes von
Minderungsmaßnahmen zu berücksichtigen.
Die Sensitivitätskarte stützt sich auf das jahrzehntelange Monitoring von Seevögeln auf See
(Borkenhagen et al. 2023) und eine
Modellierung der Verbreitung für die Jahre 2011-2016 nach der von
Mercker et al. (2021) beschriebenen Methode. Die Karten beziehen sich demnach auf einen Zeitraum, in dem es noch relativ wenige OWP in der deutschen Nordsee gab. In einem ersten Schritt wurde ein Species Sensitivity Index (SSI) erstellt, der für jede der 20 regelmäßig in der deutschen Nordsee vorkommenden Seevogelarten die Sensitivität quantifiziert. Dies geschieht auf Basis der in verschiedenen Projekten gemessenen oder beobachteten Reaktion auf OWP (Tabelle 1). Dazu werden vor allem Vorher-Nachher-Vergleiche herangezogen: Wie stark ist die Individuendichte innerhalb des Windparks im Vergleich zur Zeit vor dem OWP-Bau zurückgegangen? Bis in welche Entfernung zum OWP reicht die Veränderung der Individuendichte (Effektradius))? Außerdem fließt in den SSI ein, wie flexibel eine Art hinsichtlich ihrer Lebensraumansprüche ist. Anspruchslosere Vögel können auf dem Meer leichter auf andere Lebensräume ausweichen als solche, die an bestimmte Charakteristika wie geringe Wassertiefe mit erreichbaren Muschelvorkommen gebunden sind. Zuletzt berücksichtigt der SSI die Empfindlichkeit der Populationen. Ist eine Art gefährdet (Status auf der Roten Liste), wie groß ist der Bestand, hat Deutschland eine besondere Verantwortung für die Art und wie ist die Empfindlichkeit der Population gegenüber erhöhter Sterblichkeit?
Der SSI teilt die 20 Seevogelarten der deutschen Nordsee in ihrer Sensitivität gegenüber
OWP auf mehr oder weniger sensitive Arten auf. Kombiniert man die Sensitivität einer Art
mit ihrer lokalen Häufigkeit und betrachtet alle Arten gemeinsam, so lässt sich in der
deutschen Nordsee für jeden beliebigen Ort die Gesamtsensitivität ermitteln. Für jeden
Quadratkilometer wurden über alle 20 Seevogelarten hinweg die Produkte aus logarithmierter
Individuendichte und SSI zum Area Sensitivity Index (ASI) aufsummiert. Auf der resultierenden
Sensitivitätskarte (Abbildung 1) weisen hohe ASI-Werte diejenigen Bereiche aus, die im Hinblick
auf OWP besonders empfindlich sind. Im Umkehrschluss lässt sich für geplante OWP-Standorte
einordnen, ob sie im Hinblick auf Seevogel-Vorkommen vergleichsweise naturverträglich sind.
Im derzeit laufenden, vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekt „NaMaRo“ (s.u.)
werden auch andere Schutzgüter (Meeressäuger, Fische, Biotoptypen, Vogel- und Fledermauszug)
in ähnlicher Weise analysiert. Eine Aggregation der Ergebnisse wird schließlich als
umfassende Grundlage für die Fortschreibung der marinen Raumordnung dienen können.
Tabelle 1: Seevogelarten in der deutschen Nordsee und Meideverhalten gegenüber Offshore-Windparks, wie es für die Sensitivitätskarte berücksichtigt wurde.
Art
Meideverhalten
Sterntaucher 4
Effektradius: 9-12 km
Prachttaucher 4
Effektradius: 9-12 km
Eissturmvogel 3
Dichtereduktion OWP + 1 km: 91 %
Trottellumme 6
Effektradius: 18-21 km
Dreizehenmöwe 5
Effektradius: 20 km
Heringsmöwe 3
Effektradius: 12-15 km
Basstölpel 3
Dichtereduktion OWP + 1 km: 81 %
Zwergmöwe 7
Dichtereduktion OWP + 500 m: 89 %
Trauerente 1
Schwache Meidung
Tordalk 3
Effektradius: 0-3 km
Brandseeschwalbe 1
Schwache Meidung
Eiderente 1
Indifferentes Verhalten
Papageitaucher 2
Geringe Störung durch Schiffe u. Helikopter (als Proxy für Störungsempfindlichkeit)
Mantelmöwe 1
Schwache Attraktion oder Meidung
Flussseeschwalbe 1
Indifferentes Verhalten
Küstenseeschwalbe 1
Indifferentes Verhalten
Skua 2
Keine Störung durch Schiffe u. Helikopter (als Proxy für Störungsempfindlichkeit)
Im 2023 begonnenen, vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekt
„Begleitforschung und Strategieberatung für eine starke Nachhaltigkeit der marinen Raumordnung in der deutschen AWZ“
(kurz „NaMaRo“) werden u.a. Sensitivitätskarten zum Thema Lebensraumverlust durch OWP erstellt.
Diese Karten sollen gemeinsam mit Sensitivitätskarten für andere Schutzgüter und im Hinblick
auf andere Nutzungsformen dazu beitragen, dem in der
Rahmenrichtlinie zur maritimen Raumplanung (
2014/89/EU)
verankerten Ökosystemansatz folgend die Belange des Naturschutzes in der marinen
Raumordnung für die deutschen Meeresgewässer adäquat zu berücksichtigen.
Das seit Ende 2020 laufende Projekt
„Ausbau der Offshore‐Windenergie in Deutschland: Auswirkungen auf Seevögel in Nord‐ und Ostsee“
untersucht die Auswirkungen der Windenergieanlagen auf die in der deutschen Nord- und Ostsee lebenden Seevögel. Das Seevogelteam des DDA unterstützt das Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hier als Projektpartner. Auch dieses Projekt wird vom Bundesamt für Naturschutz gefördert.
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