Revierkartierungen aus den 1950er und 1960er Jahren sind oft hervorragend dokumentiert.
Hier ein Beispiel aus dem Hagenmoor bei Hamburg,
das 1952 kartiert und 2019 erneut erfasst wurde (aus Petersen 1953).
Dank der Basisprogramme des Vogelmonitorings wie MhB und MsB wissen wir über die
Bestandstrends vieler Brutvogelarten gut Bescheid. Zeitreihen, die mit
standardisierten Methoden aufgenommen wurden, liegen aber für die meisten Arten
erst seit etwa 1990 vor. Insbesondere für häufige Brutvogelarten haben wir kaum
vergleichbare Informationen dazu, wie sich die Bestände vor 1990 entwickelt haben.
Kalter Kaffee und Schnee von gestern? Wir finden nicht, denn große Umwälzungen
in unserer Landschaft haben nicht erst in den letzten Jahrzehnten stattgefunden.
Die Trockenlegung von Mooren und Feuchtgebieten war in vielen Gebieten schon vor
1950 abgeschlossen. Landwirtschaftliche Mechanisierung und Intensivierung fand
bereits 1930 bis 1980 statt. Und im Wald wurden Nutzungsformen wie Nieder- und
Mittelwald bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder früher aufgegeben,
während intensive Kahlschlagwirtschaft noch bis in die 1990er Jahre betrieben wurde.
Bessere Daten zu historischen Referenzzuständen könnten uns in der Debatte um
Naturschutzziele helfen. EU-weite Programme zur Renaturierung benötigen
verlässliche Ausgangszustände, um festzuschreiben, welche Ziele erreicht werden sollen.
Historische, quantitative Daten sind auch wertvoll, um „shifting baselines“
vorzubeugen: Jüngere Ornitholog*innen wissen aus eigener Erfahrung nicht mehr, wie häufig
Kiebitz und Feldlerche in den 1960er Jahren waren, und auch nicht, dass man damals
nach Mönchsgrasmücken regelrecht suchen musste. Das Wissen darum, was wir langfristig
verloren und gewonnen haben, lässt sich besser bewahren, wenn man nicht nur auf
mündliche Erzählungen und weit verstreute Berichte angewiesen ist.
In Deutschland werden seit mindestens den 1930er Jahren standardisiert Vögel kartiert.
Viele Ergebnisse liegen publiziert, aber nicht digital vor. Vieles blieb aber auch
unveröffentlicht. Mit dem Älterwerden der ersten quantitativ arbeitenden Generation
steigt die Gefahr, dass Unterlagen verloren gehen.
Wir haben daher in Kooperation mit der
Abteilung Naturschutzbiologie an der
Universität Göttingen das Sonderprogramm „Historische Bestandserfassungen“
ins Leben gerufen. Wir wollen historische Bestandserfassungen (mit einem Fokus
auf die Zeit vor 1990) sichern und digitalisieren. Gleichzeitig wollen wir
dazu motivieren, Wiederholungskartierungen in bereits früher bearbeiteten
Gebieten durchzuführen und damit eine Datenbasis für Trendberechnung,
wissenschaftliche Auswertungen und Politikberatung zu schaffen.
Die Aufbauphase des Projektes läuft von 2024 bis 2027 und wird von der
Volkswagen-Stiftung
im Projekt BBioDiv
gefördert. Eine langfristige
Verankerung als Monitoringmodul des DDA ist geplant.
Ziele
Das Programm „Historische Bestandserfassungen“ hat folgende Ziele:
Recherche und Digitalisierung historischer Brutbestanderfassungen,
zunächst mit Fokus auf standardisierte Revierkartierungen
Wiederholungskartierungen von gut dokumentierten historischen
Erfassungen koordinieren
Ableitung von Bestandsveränderungen für den Zeitraum 1960 bis 1990
Wissenschaftliche Analysen zu möglichen Treibern von langfristigen
Bestandsveränderungen, v.a. im Bereich des Landnutzungs- und Klimawandels
Bereitstellung von Daten zu unterschiedlichen „baselines“ für Naturschutz und Naturschutzpolitik
Artenspektrum
Im Programm werden alle Brutvogelarten Deutschlands berücksichtigt.
Wir sind insbesondere an der Wiederholung von Siedlungsdichteuntersuchungen
interessiert, die mit der Revierkartierungsmethode für alle Vogelarten
durchgeführt wurden. In Einzelfällen ist allerdings auch eine Wiederholung
von Kartierungen mit eingeschränkten Artenspektrum (z.B. nur Wiesenvögel erfasst) denkbar.
Flächen für Wiederholungskartierungen liegen bundesweit vor und lassen
sich in unserer
Mitmachbörse
identifizieren. Wir geben zunächst
nur Flächen frei, die nach der Revierkartierungsmethode erfasst wurden.
Wiederholungskartierungen, die ab März 2025 möglich sind, werden nach
den
Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands
(Südbeck et al. 2025) durchgeführt.
In der Pilotphase werden Daten zunächst von den Kartierer*innen
selbständig erfasst und nach dem Abschluss der Kartierung über die
Plattform dbird als Tabelle hochgeladen. In Zukunft ist auch
eine direkte Implementierung des Programms in die DDA-Kartierapp
NaturaList geplant. Für die Nutzung des dbird-Zugangs
benötigen Sie ein Login für unsere Plattform
ornitho.de.
Mitmachen
Wenn Sie Interesse an der Mitarbeit in dem Erfassungsprogramm haben,
suchen Sie nach einer geeigneten Fläche über unsere
Mitmachbörse
und melden
Sie sich bei uns unter der angegebenen DDA-Mailadresse, damit wir Ihren Zugang freischalten können.