Verschiedene Studien sind sich einig: Offshore-Windparks verursachen großräumige Lebensraumverluste bei Alkenvögeln

Offshore Windpark

Untersuchungen zur Meidung von Offshore Windparks (OWP) durch Trottellummen, die der DDA zusammen mit dem Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität Kiel (FTZ), sowie dem Büro für Biostatistik Bionum GmbH im Jahr 2024 im Fachjournal „Biodiversity and Conservation“ veröffentlicht hat (Peschko et al. 2024), werden durch eine aktuelle wissenschaftliche Publikation aus den Niederlanden bestätigt. Die kürzlich in der Fachzeitschrift „Ecological Informatics“ veröffentlichte Studie von Grundlehner et al. (2025) untersuchte die Effekte des Windparks Gemini auf die beiden Alkenarten Trottellumme und Tordalk. Der Windpark liegt in niederländischen Gewässern an der Grenze zur deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone. Grundlehner et al. (2025) untersuchten die Effekte auf Basis von digitalen Flugerfassungen, die im Winter bzw. Frühjahr 2022/2023 durchgeführt wurden, während der OWP bereits in Betrieb war. Für Trottellummen wurde ein Effektradius von >10 km ermittelt, für Tordalke ein Effektradius von bis zu 2 km. Als Effektradius bezeichnet man die Entfernung von der Außengrenze eines Windparks, bis zu der die Anzahl der Vögel durch Windparkeffekte reduziert wird.

Trotz einiger Unterschiede der niederländischen Studie im Vergleich zu den Arbeiten des DDA/FTZ (Datensatz und Untersuchungsgebiet relativ klein, nur Berücksichtigung von Daten nach dem Bau der OWP, anderes Modellierungsverfahren) fand das Autorenteam ähnliche Effektradien wie kürzlich DDA und FTZ: In der Publikation von Peschko et al. (2024) wurden bei Betrachtung aller OWP in der deutschen Nordsee für die Trottellumme Effektradien von 19,5 km (Herbst) und 16,5 km (Winter) gefunden, sowie (in einer kleinräumigeren Studie) 9 km für das Frühjahr (Peschko et al. 2020). Beim Tordalk ist der Effektradius auch nach DDA/FTZ-Analysen deutlich geringer als bei der Trottellumme (1,5 km im Winter, Garthe et al. 2022 – noch nicht peer-reviewed publiziert). Die DDA/FTZ-Analysen basieren auf einer Kombination aller für die deutsche Nordsee verfügbaren Daten zum Seevogelvorkommen: Daten des Seabirds-at-Sea Monitorings und Daten, die im Rahmen von UVP und des Monitorings für OWP erhoben werden. Die niederländische und die deutschen Untersuchungen kommen demnach unisono zu dem Schluss, dass Trottellummen und Tordalke aufgrund der OWP größere Teile ihres Lebensraums verlieren. Auch ein kürzlich im Auftrag von Windpark-Betreibern und Energiefirmen beauftragter Bericht für die deutsche Nordsee ( Szostek et al. 2024 – noch nicht peer-reviewed publiziert), der sich wiederum auf andere Analyseverfahren und Datensätze stützt, zeigt in einer Untersuchung beider Alkenvogelarten gemeinsam einen großen Effektradius im Herbst (5-12 km) sowie im Winter (2-8 km).

Bei der Interpretation der verschiedenen Studien ist es wichtig zu beachten, dass sie auf verschiedenen Datengrundlagen basieren und unterschiedliche Analysemethoden anwenden, wodurch sich Abweichungen in den Ergebnissen ergeben können. So wurde in der Publikation von Grundlehner et al. (2025) sowie in dem von Offshore-Windkraftbetreibern finanzierten Bericht (Szostek et al. 2024) nur die Verteilung der Alken nach dem Bau der OWP analysiert. Wird das Vorkommen von Seevögeln nach dem Bau nicht mit deren Verteilung vor Bau „verrechnet“, kann es allerdings zu Verzerrungen der gemessenen Effekte kommen, wenn die späteren OWP-Gebiete (z. B. aufgrund von Wassertiefe oder anderen Umweltvariablen) vor der Bebauung besonders stark oder wenig durch die betrachtete Art genutzt wurden. Tatsächlich deuten die bisherigen Arbeiten von DDA/FTZ darauf hin, dass bspw. die Trottellumme die später mit OWP bebauten Gebiete zuvor vergleichsweise intensiv nutzte. Ein Ausklammern dieses Sachverhaltes kann die gemessenen Meideeffekte in Richtung Unterschätzung verzerren.

Die von DDA und FTZ (Garthe et al. 2023, Peschko et al. 2020, 2024) verwendete Before-After-Control-Impact Analyse (kurz BACI-Analyse, Schwarz 2014, Mendel et al. 2019) basiert hingegen auf dem Vergleich von relativen zeitlichen und räumlichen Unterschieden des Seevogelvorkommens zwischen Eingriffsgebiet (= OWP-Gebiet) und Kontrollgebiet (= außerhalb des OWP) vor und nach dem Bau der OWP. BACI-Analysen erlauben es somit, Effekte von OWP robust gegenüber räumlich-zeitlichen Fluktuationen des Seevogelvorkommens zu ermitteln. Insbesondere kann die Vogelverteilung nach Bau der Anlagen mit deren Verbreitung zuvor verglichen werden – wobei übergeordnete Bestandsänderungen zwischen beiden Perioden herausgerechnet werden können. Im Gegensatz zu Control-Impact-Analysen (Grundlehner et al. 2025, Szostek et al. 2024), müssen für eine BACI-Studie somit keine potenziell verzerrten Referenzwerte aus der durch OWP beeinflussten Phase ermittelt werden, gegen die der Effekt gemessen werden kann – sondern Referenzwerte ergeben sich ganz natürlich aus der Vogelverteilung vor Bau der Anlagen.

Um die genannten Unterschiede in den Methoden und Ergebnissen zukünftig besser einordnen zu können, ist noch weitere Forschungsarbeit notwendig, wie beispielsweise ein systematischer Vergleich der verschiedenen Analyseansätze bei unterschiedlichen Datengrundlagen.

Trotz der erwähnten Unterschiede in der festgestellten Ausprägung der Effekte von OWP sind sich die oben genannten Studien einig darin, dass Alkenvögel und insbesondere Trottellummen aufgrund der Meidung von OWP großflächige Lebensraumverluste erleiden. Insbesondere in Anbetracht der immens großen Flächen, die bis 2045 für OWP vorgesehen werden, müssen diese Ergebnisse im Rahmen von Planung und Genehmigung berücksichtigt werden, um den Schutz dieser Seevogelarten in deutschen Gewässern während des notwendigen Ausbaus der erneuerbaren Energien zu gewährleisten.

Hintergrund

Deutsche Meeresgebiete werden intensiv durch den Menschen genutzt. Die für menschliche Aktivitäten beanspruchte Fläche in Nord- und Ostsee ist während der letzten Jahre durch den Bau zahlreicher Offshore-Windparks (OWP) deutlich angestiegen. Aktuell plant die Bundesregierung zudem den Ausbau großflächiger OWP. Bis zum Jahr 2045 sollen mindestens 70 Gigawatt (GW) an Offshore-Windenergie in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone installiert werden. Aktuell sind ca. 9 GW in der deutschen Nord- und Ostsee in Betrieb. Die im Raumordnungsplan für den OWP-Ausbau ausgewiesenen Flächen entsprechen knapp einem Fünftel der deutschen AWZ der Nordsee. Da diese Flächen für die Installation von 70 GW nicht ausreichen werden, wird im aktuellen Entwurf des Flächenentwicklungsplans die Ausweisung weiterer OWP-Gebiete angestrebt. Hierdurch ergibt sich eine große räumliche Überlappung mit Bereichen, die Seevögeln als Nahrungs- oder Rastgebiete dienen.

Wie reagieren Seevögel auf die Präsenz von OWP?

Zu den Effekten der Windkraftanlagen auf verschiedene Seevogelarten gehören u.a. Verschiebungen von Verbreitungsschwerpunkten und Verlust von Lebensraum durch Meidung der OWP, Zerschneidung häufig genutzter Flugrouten zwischen Brutkolonie und Nahrungsgründen, tödliche Kollisionen mit den Anlagen, Anlockung durch z.B. Möglichkeiten zur Rast auf den Anlagen und die Entwicklung neuer Nahrungsressourcen durch eine veränderte Habitatstruktur.

Bisherige Ergebnisse belegen, dass verschiedene Seevogelarten durch Windkraftanlagen in deutschen Gewässern beeinträchtigt werden. Neben den sehr empfindlichen Seetauchern (Mendel et al. 2019, Garthe et al. 2023) reagieren auch andere Seevogelarten, insbesondere Trottellummen (Peschko et al. 2020, 2024), aber auch Basstölpel, Eissturmvögel, und Tordalke (Peschko et al. 2021, Garthe et al. 2022) mit teilweise starker und weiträumiger Meidung der Anlagen und somit räumlicher Umorganisation auf großer Skala (Mercker et al 2024). Die Effekte auf diese Arten zeigen in den verschiedenen Jahreszeiten teilweise unterschiedlich starke Ausprägungen. Dreizehenmöwe und Heringsmöwe zeigen je nach Jahreszeit unterschiedliche Reaktionen, die von weiträumiger Meidung bis hin zu Anlockung reichen (Peschko et al. 2020, Garthe et al. 2022).

Welche Auswirkungen hat der Lebensraumverlust für Trottellummen und Tordalke?

Der geplante OWP-Ausbau im Norden der AWZ überlappt mit dem herbstlichen Konzentrationsgebiet von Trottellummen in der deutschen Nordsee. In dieser Jahreszeit sind Trottellummen mauserbedingt flugunfähig und führen gleichzeitig den letzten Abschnitt der Jungvogelaufzucht durch. Sie sind somit also im Hinblick auf Ausweichbewegungen besonders eingeschränkt und befinden sich gleichzeitig in einer besonders sensiblen Phase mit besonders hohem Energiebedarf.

Eine von Dr. Verena Peschko und Kolleg*innen im Jahr 2024 veröffentlichte Studie prognostiziert, dass für ca. 70 % der im Herbst in der deutschen Nordsee vorkommenden Trottellummen mit Lebensraumverlust zu rechnen ist, wenn alle bislang in der Marinen Raumordnung geplanten OWP-Flächen ausgebaut würden. In dieser Jahreszeit sind die größten Vorkommen von Trottellummen in der deutschen Nordsee präsent, sodass allein durch den Ausbau in der deutschen Nordsee insgesamt ca. 3 % der europäischen Population beeinträchtigt werden würde. Um die Ziele der Bundesregierung für den Ausbau zu erreichen, wird im aktuellen Entwurf des Flächenentwicklungsplans darüber hinaus die Ausweisung weiterer OWP-Gebiete angestrebt. Nach aktuellen Prognosen auf Basis dieses Entwurfs würden allein die Windparkflächen einen Habitatverlust für ca. 35 % der Trottellummen in der deutschen Nordsee im Herbst verursachen, ohne den Effektradius miteinzubeziehen. Diese starken Effekte werden prognostiziert, da die geplanten Flächen räumlich stark mit wichtigen Gebieten für Trottellummen zu dieser Jahreszeit überlappen. Ausweichflächen für Trottellummen werden laut der Prognosen aufgrund der Flächenausweisung für die Windenergienutzung weitestgehend fehlen.

Auch für Tordalke ist aufgrund des aktuell geplanten Ausbaus mit einem starken Lebensraumverlust zu rechnen. Aufgrund des geringeren Effektradius und der räumlichen Verteilung des Vorkommens, sind laut aktuellen Prognosen ca. 20 % der Tordalken, die im Winter in deutschen Nordsee vorkommen, zukünftig von Habitatverlust betroffen (Peschko et al. 2024b).

Zum Projekt

Das Projekt „Ausbau der Offshore‐Windenergie in Deutschland: Auswirkungen der Offshore-Windkraftnutzung auf Vorkommen und Bestand ausgewählter Seevogelarten (OWP-SEEVÖGEL II)“, wird vom Seevogelteam des DDA bearbeitet und durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) finanziert.

Literatur

  • Garthe, S., V. Peschko, H. Schwemmer & M. Mercker (2022): Auswirkungen des Offshore-Windkraft-Ausbaus auf Seevögel in der Nordsee. Vortrag Meeresumwelt-Symposium 2022.
  • Garthe, S., H. Schwemmer, V. Peschko, N. Markones, S. Müller, P. Schwemmer, M. Mercker (2023): Large scale effects of offshore wind farms on seabirds of high conservation concern. Scientific Reports 13: 4779. doi: https://doi.org/10.1038/s41598-023-31601-z
  • Grundlehner, A., Leopold, M., F., Kersten, A. (2025) This is EPIC: Extensive Periphery for Impact and Control to study seabird habitat loss in and around offshore wind farms combining a peripheral control area and Bayesian statistics. Ecological Informatics 85: 102981
  • Mendel, B., P. Schwemmer, V. Peschko, S. Müller, H. Schwemmer, M. Mercker, S. Garthe (2019): Operational offshore wind farms and associated ship traffic cause profound changes in distribution patterns of Loons (Gavia spp.). Journal of Environmental Management 231: 429–438.
  • Mercker, M., Peschko, V., Borkenhagen, K., Markones, N., Schwemmer, H., Dierschke, V., Garthe, S. (2024) Loss or redistribution? A better way of estimating regional changes in animal distribution and numbers caused by increased human activities. bioRxiv 2024.09.04.611199; doi: https://doi.org/10.1101/2024.09.04.611199
  • Peschko, V., B. Mendel, S. Müller, N. Markones, M. Mercker, S. Garthe (2020): Effects of offshore windfarms on seabird abundance: Strong effects in spring and in the breeding season. Marine Environmental Research 162: 105157.
  • Peschko, V., Mendel, B., Mercker, M., Dierschke, J., Garthe, S. (2021) Northern gannets (Morus bassanus) are strongly affected by operating offshore wind farms during the breeding season. Journal of Environmental Management 279:111509.
  • Peschko, V., H. Schwemmer, M. Mercker, N. Markones, K. Borkenhagen, S. Garthe (2024a): Cumulative effects of offshore wind farms on common guillemots (Uria aalge) in the southern North Sea - climate versus biodiversity? Biodiversity and Conservation 33: 949–970.
  • Peschko, V., S. Garthe, H. Schwemmer, N. Markones, K. Borkenhagen, M. Mercker (2024b): Prognostizierte Effekte des geplanten Offshore-Windpark-Ausbaus auf Seevögel in der Nordsee. Vortrag BfN-Kolloquium Meeresnaturschutz 2024
  • Szostek, L., Vilela, R., Bauch, C., Burger, C., Diederichs, A., Freund, A., Braasch, A. (2024) Auks in the German North Sea: Effects of Offshore Wind Farms. Bericht im Auftrag des Bundesverband Windenergie Offshore e.V.
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