ADEBAR-Leseprobe - page 10

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Das Brutareal des Kiebitz erstreckt sich von der Iberischen Halbinsel und
den Britischen Inseln über weite Teile der Paläarktis bis an die Pazifikküs-
te. Die nördlichsten Vorkommen finden sich in Nordskandinavien und der
Kola-Halbinsel, die südlichsten in Spanien, der Türkei und dem Iran. Als
Bruthabitat dienen Flächen mit fehlender und kurzer Vegetation, vorwie-
gend in offenen Niederungslandschaften.
Kiebitz 
Vanellus vanellus
Bruthabitat, Bestand und Verbreitung
Zur Brut bevorzugt die Art von Überschwemmungen oder Staunässe
geprägte kurzrasige Feuchtwiesen, Feuchtheiden und andere Wei-
delandschaften. Bei fehlendem Einfluss hoher Wasserstände weicht
der Kiebitz auf Ackerflächen (Mais-, Getreide-, Raps-, Rüben- und
Kartoffelanbau) aus. Die höchsten Brutplätze reichen in Bayern bis
in Höhenlagen um 850m über NN
  [1638]
.
In Deutschland brüten nach den Ergebissen der ADEBAR-Kartie-
rung 63000–100000 Kiebitzpaare und damit etwa 3% des 1,7–2,8
Mio. Paare umfassenden europäischen Gesamtbestandes
  [207]
.
Der Kiebitz ist im Norddeutschen Tiefland und im Alpenvorland
großflächig verbreitet. In der Mittelgebirgsregion konzentrieren sich
die Brutvorkommen in den Flussniederungen und offenen Becken-
landschaften.
Der Vorkommensschwerpunkt liegt im Nordwestdeutschen Tief-
land, wo die Dichte weiträumig über 50 Paare/TK, vielfach sogar
über 150 Paare/TK beträgt. 400–1 000 Paare/TK wurden im Nieder-
rheinischen Tiefland, in der Münsterländer Tieflandsbucht, in den
Ost- und Nordfriesischen Marschen sowie in den Flussmarschen der
Niederelbe festgestellt. Mit bis zu 910 Paaren/TK konnten an der
schleswig-holsteinischenWestküste im Dithmarscher Speicherkoog
infolge von Nutzungs- und Wassermanagement die mit Abstand
höchstenWerte ermittelt werden.
Deutlich seltener ist die die Art im Nordostdeutschen Tiefland.
Die bedeutendsten Vorkommen befinden sich hier im schleswig-
holsteinischen Hügelland, dem Hinterland der Ostseeküste bis zum
Oderhaff und dem Unteren Odertal sowie im Stromtal der Peene, in
der Unteren Havelniederung, im Elbtal und in der Nieder- und Ober-
lausitz. Die Dichten liegen in der Regel zwischen 4 und 20 Paaren/TK,
nur selten darüber. Es gibt auch kleinere, aber erkennbare Lücken im
Verbreitungsbild.
In der nur fragmentarisch besiedelten Mittelgebirgsregion fallen
größere Verbreitungsschwerpunkte im Rhein-Main-Gebiet, der Wet-
terau und demHessischen Ried, der Oberrheinebene nördlich des Kai-
serstuhls sowie in Main- und Mittelfranken auf. Meist liegt die Dichte
unter 20 Paaren/TK; über 50 Paare/TK sind seltene Ausnahmen.
Das Alpenvorland ist in dessen nördlichem Teil weitgehend
geschlossen besiedelt, oft mit Dichten zwischen 4 und 20 Paaren/
TK, vielerorts aber auch darüber. Ausnahmsweise werden 151–400
Paare/TK in den niederbayerischen Isarauen bei Dingolfing und in
der überwiegend ackerbaulich intensiv genutzten Gäubodenland-
schaft bei Straubing erreicht.
Bestandsentwicklung
Anhaltender Rückgang bestimmt sowohl langfristig als auch kurz-
fristig (1990–2009) den Bestandstrend in Deutschland
  [1776]
.
Verbreitung und Bestand des Kiebitz hatten ihren Höhepunkt
wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  [1288]
. Bereits
kurz danach und verstärkt ab 1900 gingen die Bestände in vielen
Regionen zurück. Ursachen waren in dieser Zeit vorrangig Trocken-
legungen von Feuchtgebieten und nachfolgende Intensivierungen
der Landwirtschaft
  [611,1292,1354,1516,1646]
.
Nach vorübergehenden Tiefpunkten der Bestandsentwicklung in
den 1920er und 1930er Jahren erfolgte in einigen Regionen eine nut-
zungsbedingte, kurzfristige Erholung, bis sich die fortschreitende
Industrialisierung der Landwirtschaft zunehmend negativ aus-
wirkte
  [1638]
. In den meisten Regionen war der erneut abnehmende
Trend infolge komplexer Meliorationen und intensivierter Nutzung
spätestens ab den 1970er Jahren bemerkbar. Dieser setzte sich ab
den 1980er Jahren verstärkt fort, insbesondere im Süden und Osten,
spürbar aber auch im Norden
  [1292,1354,1516,1638]
.
Im Zuge dieser Entwicklung wurden ehemals gut besiedelte
Regionen Baden-Württembergs von den Gäulandschaften über
das Neckarbecken bis ins Tauberland fast vollständig aufgege-
ben
  [239]
. In Hessen führte der Habitatwechsel auf feuchte Äcker um
Mitte der 1970er Jahre zunächst zu einem Bestandsanstieg. Dem
folgte jedoch im Verlauf der 1990er Jahre ein baldiger Einbruch auf
15% des Ausgangsniveaus
  [721]
.
Auch im Osten Deutschlands waren starke Bestandseinbußen
zu verzeichnen. In Mecklenburg-Vorpommern ging der Bestand
zwischen 1978–82 und 1994–98 um über 50% zurück
  [1400]
, in Bran-
denburg von 1995–2009 um 56%
  [1078]
und in Sachsen zwischen
1978–1982 und 2004–2007 um 80%
  [1696]
. Insbesondere in Sachsen-
Anhalt, Sachsen und Thüringen wurden gegenüber den 1980er Jah-
ren
  [1315]
viele Brutgebiete aufgegeben. Insgesamt nahm der Bestand
in Ostdeutschland von etwa 28000 Brutpaaren um 1980
  [1315]
auf ca.
5000–8000 Paare im ADEBAR-Zeitraum ab.
Im Nordwestdeutschen Tiefland stellt sich die Situation kaum
besser dar. In Schleswig-Holstein nahm der Brutbestand zwischen
1985–1994 und dem ADEBAR-Zeitraum um etwa 25% ab
  [1011]
, in Nie-
dersachsen zwischen 1961 und 1993 um 70%
  [1354]
. Auch hier hielt der
negative Trend an
  [1050]
. Für Nordrhein-Westfalen, das fast ein Viertel
des deutschen Brutbestandes beherbergt, wird ebenfalls ein starker
Rückgang konstatiert
  [617]
.
Für Gesamtdeutschland stellt sich die Situation wie folgt dar:
Während für die Zeit um 1985 noch ca. 215 000 Brutpaare angege-
ben wurden
  [1435]
, sanken die Zahlen auf 78 000–118 000 Brutppare
Mitte der 1990er Jahre
  [1967]
, 67 000–104 000 Brutpaare um 2000
  [47]
und 68 000–83 000 Brutpaare um 2005
  [1764]
. Das ADEBAR-Ergebnis
ordnet sich hier ein. Das
Monitoring häufiger Brutvögel
bestätigt
den starken Bestandsrückgang in den beiden zurückliegenden
Jahrzehnten, der sich im ADEBAR-Zeitraum ungebrochen fort-
setzte.
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14,15,16
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